Gesundheits-verantwortung der Organisation

Eine ausgewogene Work-Life-Balance ist in der Sozialen Arbeit sehr wichtig. Diese hängt von den Möglichkeiten ab, die eine Organisation bietet, und wie die Mitarbeitenden diese nutzen. Der persönliche ‘Energietank’, der für die Arbeit benötigt wird, kann durch regenerierende Handlungsaktivitäten in der Freizeit aufgefüllt werden (vgl. Poulsen 2012: 111, Poulsen 2010: 27, Praxisgruppe 2023). Dafür müssen seitens der Organisation gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen gegeben sein. Seitens der Mitarbeitenden ist es wichtig, dass sie wissen, was für ihr Wohlbefinden wichtig ist und dass sie selbstfürsorglich mit sich umgehen (vgl. Dahl 2018: 136).

Bedeutung des Privatlebens für den beruflichen Kontext

Es ist wichtig, abschalten zu können, sich zu regenerieren, positive Momente zu erleben und gut auf sich selbst zu schauen (vgl. Praxisgruppe 2023). Als besonders hilfreiche Aktivitäten werden insbesondere Sport, Hobbys und Gespräche sowie Treffen mit sozialen Kontakten betrachtet (vgl. Poulsen 2009: 64, 77, Poulsen 2012: 110f.). Soziale Kontakte können einerseits in schwierigen Zeiten wertvolle Unterstützung leisten. Andererseits gibt es auch Situationen, bei denen Sozialpädagog*innen durch Herausforderungen im privaten Umfeld einer Doppelbelastung ausgesetzt sind. Dies verdeutlicht den hohen Stellenwert der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (vgl. OBS EHB 2018: 4), was aus Sicht der Praxisgruppe allgemein auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ausgeweitet werden muss (vgl. Praxisgruppe 2023).

Wenn die Arbeit als sehr herausfordernd wahrgenommen wird und die Freizeit nur knapp für die Regeneration reicht, ist diese Situation sehr fragil. Anzustreben ist ein Verhältnis von Arbeit und Freizeit, welches auch bei (privaten) Krisen und Herausforderungen Stabilität beibehält (vgl. ebd.). Besonders wichtig ist dies in der Sozialen Arbeit, weil das hohe Engagement für die Kinder und Jugendlichen dazu verleiten kann, dass Sozialpädagog*innen ihre Selbstfürsorge zu wenig gewichten (vgl. Bomert et al. 2021: 14). Dies obwohl intensive Auseinandersetzungen, unrealistisch hohe Erwartungen an sich selbst (vgl. Maroon 2008: 3f.) sowie die Konfrontation mit belastenden Schicksalen die Fachpersonen vor Herausforderungen stellen (vgl. Poulsen 2009: 56), die eine gute Selbstfürsorge voraussetzen. Dadurch wird deutlich, dass dieser Faktor nicht nur in die Verantwortung der individuellen Sozialpädagog*innen fällt, sondern auch für die Organisation eine wichtige Aufgabe darstellt.

Selbstfürsorge individuell und organisational

Grundsätzlich bedeutet Selbstfürsorge «sich selbst wertschätzend zu begegnen, das eigene Befinden und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und aktiv zum eigenen Wohlergehen beizutragen. Es gilt, das eigene Leben zu reflektieren und Gestaltungsspielräume zu identifizieren, die dem eigenen Wohlergehen zuträglich sind.» (Dahl 2018: 136) Es wirkt unterstützend, wenn Sozialpädagog*innen ihre eigenen Verhaltens-Modi kennen, in denen sie in unterschiedlichen Situationen agieren (vgl. Pommer/Zöhling 2020: 83). Ein humorvoller Umgang mit sich selbst und den Problemen der Arbeit (vgl. ebd.) sowie gutes Fehlermanagement (vgl. Affolter 2019: 185f.) sind hilfreich. Konkrete Faktoren für die Gesundheitsfürsorge sind (Poulsen 2012: 110):

  • gesunde Ernährung mit viel Vitaminen, genügend Wasser/Tee
  • ausreichender und erfrischender Schlaf
  • Bewegung, Sport treiben, egal was, baut das Stresshormon Cortisol im Körper ab, danach Sauna, Massagen
  • Entspannung/Entspannen lernen (aktive Techniken und Methoden wie Yoga, Autogenes Training, PMR, Meditation, Tai Chi usw.)
  • häufiger Pausen einlegen am Tag
  • mehrere kürzere Urlaube genießen
  • einen längeren Urlaub pro Jahr, um völlig abschalten zu können

Die Schichtarbeit sowie teilweise durchgängige, lange Dienste, die im Kontrast zu einigen dieser Punkte stehen, verdeutlichen, weshalb auf die Implementierung der gesundheitsförderlichen Faktoren in der stationären Kinder- und Jugendhilfe ein besonderes, auch kreatives Augenmerk gelegt werden muss. Organisationen «müssen Strategien und Methoden betrieblicher Gesundheitsförderung umsetzen, damit Gesundheit erhalten bleibt» (Rövekamp-Wattendorf 2020: 15). Darunter wird auch verstanden, dass gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen gestaltet werden (vgl. Dahl 2018: 136). In der Sozialpädagogik sind diese Punkte besonders hervorzuheben, da Regenerationsphasen, Vereinsbeitritte und die Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen stark von den in diesem Bereich typischen unregelmässigen Arbeitszeiten geprägt, teilweise verunmöglicht werden. In der stationären Kinder- und Jugendhilfe ist der Blick auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eine sehr wichtige Ressource, da sie besonders auf belastbare, langfristig einsetzbare Fachpersonen angewiesen ist. Wenn die Organisation einen hohen Wert auf die Gesundheit der Mitarbeitenden legt, sind die Sozialpädagog*innen besser für ihre Selbstfürsorge sensibilisiert. Zudem ist die Aussenbeobachtung der Mitarbeitenden und der Leitung auf die Sozialpädagog*innen wertvoll. Wertschätzende Rückmeldungen können helfen, eine gesundheitsschädliche Überbelastung zu erkennen, die sie aufgrund ihrer Involviertheit in einem Fall selbst übersehen würden (vgl. Praxisgruppe 2023).

Selbstreflexion der Mitarbeitenden

  • Was mache ich in meiner Freizeit? Was gibt mir Kraft? Was hilft mir, abzuschalten
  • Reicht mir meine Freizeit für die Regeneration? Gibt es Dienste, von denen ich mich nur schwer erholen kann?
  • Wie viel Überschussenergie habe ich, um mit aufkommenden Herausforderungen umzugehen? Wie meistere ich (private) Herausforderungen?
  • Wie gesund lebe ich (Schlaf, Ernährung, Bewegung)? Wie gut gelingt es mir, meine sozialen Kontakte zu verfolgen

Organisationsreflexion der Leitungen

  • Inwiefern holt die Organisation diese Selbsteinschätzungen der Mitarbeitenden ein?
  • Welche gesundheitsförderlichen Massnahmen ergreift sie aufgrund der Rückmeldungen, um eine ausgeglichene Work-Life-Balance aktiv zu fördern?
  • Wie sensibilisiert die Organisation ihre Mitarbeitenden für die Selbstfürsorge?
  • Wie werden Konflikte zwischen betrieblichen und privaten Bedürfnissen geregelt?
  • Gibt es Sozialpädagog*innen, bei denen die Work-Life-Balance als kritisch zu beurteilen ist? Erkenne ich Vorzeichen einer Überbelastung?
  • Inwiefern gehen die Sozialpädagog*innen selbstfürsorglich mit sich um?
  • Können Mitarbeitende mit den vorhandenen Rahmenbedingungen regelmässige Hobbys und soziale Kontakte in der Freizeit verfolgen?
  • Welche Dienste erschweren die Regeneration?

Es kann zwischen Sofortmassnahmen, die heute eingeführt werden sowie langfristigen Massnahmen, die über längere Zeit implementiert werden unterschieden werden.

  • Sozialpädagog*innen reflektieren ihre Selbstfürsorge (wahrgenommene Gesundheitsverantwortung der Organisation, aktuelle Work-Life-Balance, individuelle Regenerationsmöglichkeiten).
  • Die Leitung bittet die Mitarbeitenden um eine Rückmeldung zur wahrgenommenen Gesundheitsförderung der Organisation und neuen Vorschlägen (z.B. via Mail, online Formular oder an interner Weiterbildungssequenz).
  • In bestehenden Gefässen, wie Teamsitzungen und Mitarbeitendengespräche, wird die Gesundheitsvorsorge der Organisation als fixes Traktandum aufgenommen.
  • Punkte, bei denen die Gesundheitsverantwortung nicht gewährleistet werden kann, werden diskutiert und bearbeitet.
  • Es wird ein betriebliches Gesundheitsmanagement eingeführt, welches von der Leitungsebene initiiert und in Kooperation mit den Mitarbeitenden durchgeführt wird.
  • Die Gesundheitsverantwortung der Organisation wird regelmässig mittels Fragebogen evaluiert und gesundheitsförderliche Massnahmen auf ihre Wirkung überprüft.
  • Die kritischen Punkte der Reflexion werden konkret umgesetzt (z.B. Dienstzeiten, die eine Vereinsteilnahme erlauben, aneinanderhängende Freitage, die Regeneration erlauben…).

Gesundheitsverantwortung der Organisation